Liberale Senioren besuchen die Liberale Jüdische Gemeinde
Vor einigen Jahren hatten wir schon einmal Kontakt zur Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover-Stöcken aufgenommen, doch mit der Corona-Pandemie brach der Kontakt ab. Aber seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. November 2023 mit den verheerenden Folgen und den Solidaritätskundgebungen für die Juden und Jüdinnen in Hannover, wuchs in uns der Wunsch, den Kontakt wieder aufzunehmen und ins Gespräch zu kommen. Mein Brief, in dem ich den Wunsch unseres Vereins, die Gemeinde zu besuchen, wurde vor Weihnachten von Frau Dr. Seidler, der Geschäftsführerin, positiv beantwortet, was in mir eine große Freude auslöste, wie ein Weihnachtsgeschenk.
Also standen wir am 14. Februar, am Valentinstag, vor der Tür, und wir konnten vor den Augen der Polizei, die ständig Wache hält, in das Gebäude eintreten, das bis 2007 eine evangelische Kirche war. Da im Gebäude viel gebaut wurde, um die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen umzusetzen, durften wir sogleich in der Synagoge Platz nehmen, die Männer mussten selbstverständlich eine Kippa aufsetzen, die meine Frisur perfekt ergänzt. „Der Segen Gottes ruht auf uns.“
Dann erzählte Rebecca Seidler etwas von der Geschichte der Gemeinde „Etz Chaim“, der Baum des Lebens, die 1995 gegründet wurde und 2009 in dieses Kultur- und Gemeindezentrum mit der Einweihung der Synagoge einzog. Die russischen Juden, die sog. „Kontingentflüchtlinge“, die von 1990 bis Anfang der 2000er Jahre aus der ehemaligen Sowjet-Union nach Deutschland kamen, stellen die größte Zahl der Gemeindemitglieder, heute umfasst sie ca. 800 Personen.
Hier ist eine jüdische Bibliothek untergebracht mit Büchern in russischer, deutscher, hebräischer und jiddischer Sprache. Eine Kindertagesstätte, ein Kindertreffen und ein Jugendzentrum sind ebenfalls vorhanden, außerdem werden Sprachkurse in deutsch und hebräisch gegeben.
Erschreckend für uns Besucher war, dass außerhalb des Gemeindezentrums die Sicherheit der Mitglieder und der Gäste ohne Polizei nicht zu gewährleisten sei. Bei der Veranstaltung am Opernplatz zum Holokaust-Gedenktag am 27. Januar erzählte ein junger Mann auf der Bühne, dass sie bei einem Treffen der jüdischen Jugendorganisation Netzer Germany e.V. Polizeischutz benötigten; das hat mich sehr nachdenklich gemacht. Frau Seidler bestätigte, dass auch Ausflüge mit den Kindern nur mit Polizei gemacht würden, obwohl sie nicht an Symbolen erkennbar seien. Synagogen wie diese und jüdische Kultureinrichtungen seien heute ohne Schutz nicht denkbar. Kopfschüttend erfuhren wir außerdem, dass große Teile der Öffentlichkeit auf Symbole oder Sticker wie israelische Flaggen negativ reagieren würden.
Rebecca Seidler fühlt sich und ihre Gemeinde von den Parteien, von den demokratisch legitimierten, ausreichend geschützt vor antisemitischen Angriffen; die Juden müssen halt wachsam sein. Durch ihre Tätigkeit auf Landesebene ist sie gut vernetzt. Vorschläge zur israelischen Politik sollten wir in Deutschland sehr zurückhaltend machen, da uns der Einblick in das dortige Leben vom heimatlichen Sessel wohl fehlen würde, erläutert Frau Seidler.
Das kann ich gut nachvollziehen, habe ich doch im Urlaub erlebt, wie schnell man sich beim Trinken eines frisch gepressten Orangensaftes in Jerusalem plötzlich im dunklen Keller eines unbekannten Hauses wiederfindet, um einem Granateneinschlag zu entgehen. Von weiteren Erlebnissen mit Juden habe ich teils mit bewegenden Worten berichtet. Uns ist klar, dass wir über die Situation der Juden und des Staates Israel mit großer Sensibilität sprechen sollten.
Dieses Zusammentreffen in der Liberalen Jüdischen Gemeinde sollte kein einmaliger Besuch sein, wir wollten daraus eine ständige Einrichtung machen. Deshalb überreichte uns Rebecca Seidler Beitrittsformulare zum Freundeskreis der Gemeinde, die viele von uns mitnahmen.
Doch noch war dieser besondere Tag nicht zu Ende. Denn abends ging es in die Villa Seligmann, wo die Journalistin Shelly Kupferberg, geboren in Tel Aviv und aufgewachsen in Berlin, aus ihrem ersten Buch las, eine aufwändig recherchierte und erschütternde Geschichte über einen Teil ihrer Familie, mit dem Titel „Isidor: ein jüdisches Leben“. Sie hatte das Leben ihres Urgroßonkels so eindrucksvoll vorgetragen, dass ich nicht umhinkonnte, mir gleich das Buch zu kaufen. Im nächsten Urlaub werde ich es lesen oder schon früher?
So ging ein beeindruckender Tag zu Ende, und er wird lange nachwirken, die Epoche von der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg über die Shoa bis heute hinterlässt tiefe Spuren und muss immer wieder neu reflektiert werden. Deshalb: Nie wieder ist jetzt!
Manfred Kobusch