Die Menschen wollen alt werden, aber niemand will alt sein.

Die Menschen wollen alt werden, aber niemand will alt sein.

Die Problematik der Liberalen Senioren.

Wenn Ihnen jemand in der letzten Zeit in überraschtem Tonfall gesagt hat: „Sie sehen aber gar nicht aus wie 72!“, und Sie sich darüber gefreut haben, dann können sie davon ausgehen, dass Sie alt sind, aber nicht so wahrgenommen werden wollen. Das hohe Alter, also nicht das reine Lebensalter, ist eine sehr interessante Kategorie unseres sozialen Lebens, die sich von anderen Kategorisierungen unterscheidet. Irgendwie alt ist man irgendwie immer. Für Kinder und Jugendliche spielen Altersvergleiche eine wichtige Rolle, und vieles, was im Leben geschieht, wird aufs Lebensalter hin beobachtet: eine frühe Karriere, eine späte Heirat, ein allzu früher Tod.

Wir kennen ältere Menschen, aber nicht uns selbst in dieser Rolle, weil wir ältere Menschen in Differenz zu uns selbst kennen. Wir waren schon mal irgendwo älter als andere, aber diese Erfahrung hat sich dann im nächsten Moment wieder verloren. Das Lebensalter ist eine  Variable, wir sind nicht entweder alt oder nicht alt, sondern mehr oder weniger alt.

Dass wir mit dem hohen Alter nicht aufwachsen, erklärt auch, dass wir damit so wenig vertraut sind, wenn wir in unserem eigenen Leben damit konfrontiert werden. Zum einen altern die anderen auch, wir altern gemeinsam, hat der Soziologe Alfred Schütz einmal geschrieben. Das gemeinsame Altern lässt die Gegenwart zumindest im Alltag zeitlos aussehen, weil die anderen sich ebenso verändern und die Zeit für alle gleichermaßen vergeht.

Zum anderen ist es gerade der engste Familien- oder Freundeskreis, der das Altern geradezu verdeckt. Familie und Freunde orientieren sich an der gemeinsamen Vergangenheit. In Familien sieht man sich so, wie man vor ein paar Jahren oder Jahrzehnten war. Die Kinder bleiben Kinder, und die Eltern bleiben Eltern. Familien frieren ihr Altern quasi ein, und das macht es dann so schwierig, die Rollen später umzuverteilen und die eigenen, bisher selbstständigen Eltern als alte, hilfsbedürftige Menschen zu sehen.

Im Alltag werden in der Regel bestimmte Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten gesucht, nicht ein bestimmtes Alter. Der Alltag macht von den Erfahrungen der vielen gelebten Jahre aber selten Gebrauch. Weil die Erwartungen an das Lebensalter im Hinblick auf Tätigkeiten und Fertigkeiten weniger festgelegt sind und die Variationsbreite größer ist, wollen die Menschen nicht als alte Menschen wahrgenommen werden. So hat sich die Jugendphase bis ins höhere Lebensalter erhalten und es ist unklar, ab wann das Alter beginnt oder beginnen darf.

Wann ist die Zurechnung, alt zu sein und deshalb von bestimmten Tätigkeiten ausgeschlossen zu werden, diskriminierend? Diese Frage ist schwer zu beantworten, weil das Potenzial, mit dem Alter diskriminiert zu werden, heute größer ist als früher, obwohl die Alten heute viel mehr tun können und dürfen. Und deshalb kämpfen wir weiter gegen die Altersdiskriminierung.