Dr. Gero Hocker gibt uns einen umfassenden Einblick.
Nachdem unser Treffen mit Konstantin Kuhle vor wenigen Wochen ein großer Erfolg war, haben wir auch den stellvertretenden FDP-Landesvorsitzenden, Dr. Gero Hocker, im April zu uns eingeladen. Sowohl er als auch Manfred Kobusch sind Mitglieder im LFA Ländlicher Raum und Gero zudem agrarpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Da war klar, worüber wir sprechen würden.
In der Anmoderation beschrieb Kobusch das Bild, dass sich ihm bot, wenn er die Bauerndemonstrationen zu Beginn des Jahres sah: unendliche Schlangen von Treckern, imposante Schlepper von Fendt, John Deere, Massey Ferguson und Claas, teuer in der Anschaffung und mit viel PS, die über die Landstraßen fuhren, vor dem Brandenburger Tor oder an der Siegessäule standen, wie Christian Linder mit heiserer Stimme versuchte, die Bauern für sich zurück zu gewinnen und einen Landwirtschafts-minister Cem Özdemir, der von allem nichts gewusst haben wollte.
Die Bauern wollten, dass die Bundesregierung das rückgängig machen sollten, was sie gerade eingeführt hatte, den Wegfall der Agrardiesel-Befreiung und die Befreiung von der Kfz-Steuer. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Es sollten auch die Bauern einen Beitrag leisten, die Ausgaben des Bundes auf ein erträgliches Maß zurückzuführen; das ginge zu weit!
Zum Beginn seiner Ausführungen richtete Gero Hocker den Blick auf die Nachkriegszeit, denn seit den Hungerwintern sollten die Deutschen nie wieder hungern. Die Lebensmittel sollten ständig verfügbar sein, dafür bekamen die Bauern ihre Subventionen, und die wurden im Laufe der Jahre immer mehr. Wir Deutschen haben uns daran gewöhnt, dass Lebensmittel immer verfügbar sind und dass sie relativ preiswert sind, billiger als in unseren Nachbarländern. Bei uns arbeiten die Landwirte sehr effektiv, ein Einzelner von ihnen kann 140 Personen ernähren.
Mittlerweile ist ein Zielkonflikt entstanden: die Weltbevölkerung wächst rapide, mittlerweile leben acht Mrd. Menschen auf der Erde, und die Fläche wächst nicht mit, im Gegenteil, jährlich werden tausende von Fußballfeldern versiegelt für Straßen, Flugplätze, Häuser und Wohnungen. Auf der anderen Seite müssen der Klimaschutz und das Tierwohl beachtet werden, und Pflanzenschutz muss gewährleistet sein. Wenn die Landwirte tierwohl-gerechte Ställe bauen, können sie an finanziellen Förderprogrammen teilnehmen, aber die Preise für die Konsumenten steigen dennoch. Gero Hocker sagt, nur 10 % der Bevölkerung zahlt die höheren Preise für Bio-Produkte, und Bio nimmt nur 6,3 % des Lebensmittelumsatzes ein.
Dann kam aus unserer Runde die Frage nach dem Ernährungsrat, der im Mai 2023 vom Bundestag ins Leben gerufen wurde und der mit 180 Mitgliedern einen Querschnitt der Bevölkerung ab 16 Jahren abbilden sollte. Die wichtigsten Ergebnisse waren kostenfreies Mittagessen für Kinder in Kitas und Schule, verpflichtende staatliche Label zur Erleichterung des Einkaufes gesünderer Lebensmittel und die
verpflichtende Weitergabe genießbarer Lebensmittel an Tafeln und andere Organisationen.
Gero Hocker machte deutlich, dass es für die Politik keine Verpflichtung gäbe, diese Vorschläge umzusetzen. Nicht gerecht sei das kostenlose Essen für Kinder der Gutverdiener, manches werde ohnehin schon gemacht, wie die Weitergabe noch genießbarer Lebensmittel an die Tafeln. Die Bundestagspräsidentin kommentierte, „sie wolle die Empfehlungen sehr ernst nehmen“.
Und da erkennen wir die unterschiedlichen Betrachtungen. Hocker weißt darauf hin, dass jeder Bürger auch eine Eigenverantwortung hat, für das, was er macht, so auch für die Ernährung. Und der Autor sagt. „Wenn ich Nuss-Nugat-Creme gerne esse und ich weiß, dass das nicht gesundheitsförderlich ist, ist es meine Entscheidung mit allen Konsequenzen.“
Fragen nach dem Fortbestand der Regierungskoalition wurden erwartungsgemäß auch an Gero gerichtet; er hatte damit gerechnet. Die meisten von uns sind weiterhin für die Fortführung der Koalition, doch eine „Sollbruchstelle“ kann es geben: den Haushalt, wenn er nicht fristgerecht verabschiedet wird. So muss die Kindergrundsicherung verschoben werden und einiges mehr.
Der Anlass für diese Gesprächsrunde waren die Bauerndemon-strationen und die Subventionen, von denen die Bauern leben, kommen sie aus Berlin oder aus Brüssel. Die Frage nach den Einkommen der Landwirte wurde beantwortet mit ca. 80.000 bis 100.000 Euro p.a. Doch die Durchschnittszahl ist nicht aussage-kräftig, enthält sie sowohl kleine Familienhöfe wie in Ost-
westfalen als auch Großbetriebe als GmbH, die aus den LPGs der DDR hervorgegangen sind mit Flächen, soweit das Auge reicht.
Doch was haben die Demos den Bauern gebracht? Die Proteste waren eine Zerreißprobe für die Bundesregierung. Die Kfz-Steuerbefreiung bleibt, der Wegfall der Agrardiesel-Beihilfe wird anderweitig abgefedert. Auch in anderen Belangen hat Brüssel zu Gunsten der Landwirte entschieden, etwa bei den Agrarimporten oder beim Pflanzenschutz. Gerade erst hat Brüssel durchgewinkt, dass die Bauern in diesem Jahr nicht mehr 4 % ihrer Flächen stilllegen müssen, um die EU-Agrarsubventionen zu erhalten. Mit einer weiteren Erleichterung kommt Berlin den Bauern entgegen: mit der Steuerglättung. Hierbei wird nicht nur ein Wirtschaftsjahr steuerlich herangezogen, sondern mehrere Jahre.
Aber ein großes Hindernis bleibt, die Bürokratie nervt die Landwirte durch sinnlose Regulierungswut und praxisferne Regeln. Dazu passt die Aussage einer Jungbäuerin aus unserer Nachbarschaft: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass Landwirtschaft in Deutschland einfach nicht gewollt ist. Ich verbringe jedes Jahr Hundert Stunden am Schreibtisch. Aber das ist Arbeit, die uns niemand bezahlt. Vor lauter Bürokratie kann ich der praktischen Tätigkeit als Landwirtin gar nicht in dem Umfange nachkommen, wie ich es machen müsste.“
Gero Hocker hat uns die Probleme und Konflikte der Landwirtschaft nähergebracht, Bund und EU müssen sich bei vielen Themen einigen, was oft ein Problem ist, da in Brüssel höchst unterschiedliche Regierungen, Parteien, Mentalitäten und Länder als Wettbewerber aufeinanderstoßen. Der Europa-wahlkampf beginnt so langsam und es wird interessant für alle. Für uns waren es spannende Themen, das Gespräch wird Gero Hocker mit uns nach der Wahl gerne fortsetzen.
Manfred Kobusch