Nachhaltigkeit und demographischer WandelWiderspruch oder Übereinstimmung?

Nachhaltigkeit und demographischer Wandel

Widerspruch oder Übereinstimmung?

Im Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung steht viel über Nachhaltigkeit und wenig über Alterssicherung und Rente. Diese Diskrepanz hat Axel Börsch-Supan aufgedeckt; er ist Lehrstuhlinhaber an der TU München und Direktor des „Munich Center for the Economics of Aging“ am Max-Planck-Institut. Was Nachhaltigkeit in der Klimapolitik bedeutet, um den Klimawandel noch abzuwehren, ist vielen bewusst geworden durch die heißen Sommer der letzten Jahre, durch Starkregen und die riesigen Überschwemmungen in Westdeutschland.

Die Notwendigkeit einer Nachhaltigkeit bei der Rente erkennt man bei einem Blick auf den demographischen Wandel. Das kann man besonders gut verstehen, weil in wenigen Jahren die Babyboomer-Jahrgänge in Rente gehen werden. Die heute 61-Jährigen gehören mit 1,3 Mio. Menschen zu den größten Jahrgängen der deutschen Bevölkerung, weitere sechs Jahrgänge folgen. Sie alle wollen in wenigen Jahren ihre Rente beziehen. Eine Befragung der Bundeszentrale für politische Bildung macht deutlich: 37 % der Befragten haben große Sorgen und 31 % haben gewisse Sorgen über ihre Alterssicherung, nur 30 % haben geringe oder keine Sorgen.

Zum Ende dieses Jahres wird die Reserve der gesetzlichen Rentenversicherung noch 40 Mrd. Euro betragen, in vier Jahren wird sie nach Berechnungen der Rentenversicherung leer sein. Daher ist in 2024 eine Beitragserhöhung unausweichlich, zudem die Zahl der Rentner zunimmt und die Zahl der Beitragszahler abnimmt. Das Ungleichgewicht lässt sich auch durch Zuwanderung nicht kompensieren.

Die rot-grüne Koalition hat 2005 den Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt. Dadurch wird der Anstieg der Beitragssätze, der durch den demographischen Wandel für die jüngere Generation entsteht, gesenkt und zugleich das Rentenniveau etwas absenkt. Das führt aber zu keiner Rentenkürzung, was immer behauptet wird. Sinkende Renten kann es nicht geben, die Rentengarantie ist seit 2009 im Sozialgesetzbuch verankert. Das Rentenniveau ist ein Prozentsatz, der angibt, wieviel Prozent des Durchschnittsverdienstes die sog. Standardrente ausmacht.

Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir werden das Mindestrentenniveau von 48 % dauerhaft sichern“ und „In dieser Legislaturperiode steigt der Beitragssatz nicht über 20 %“. Die Rentnergeneration soll also dauerhaft von den Folgen des demographischen Wandels verschont werden, während die jüngere Generation diese durch Beitragserhöhungen finanzieren muss. Nach Berechnungen der gesetzlichen Rentenversicherung werden die Beiträge spätestens in 2024 auf jene 20 % steigen, bis 2035 auf 22,4 %. Die Lasten des demographischen Wandels werden einseitig auf die jüngere Generation verschoben, die zudem den Klimawandel und den aufgestauten Bedarf an Infrastrukturmaßnahmen finanzieren muss.

Eine weitere Scheinmaßnahme hat die Aufmerksamkeit von Axel Börsch-Supan gefunden.  Im Koalitionsvertrag steht: „Zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz werden wir in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen. dazu werden wir in einem ersten Schritt der deutschen Rentenversicherung in 2022 aus Haushaltsmitteln einen Kapitalstock von 10 Mrd. Euro zuführen.“ Der Rentenversicherungsbericht setzt die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung für dieses Jahr mit 357 Mrd. Euro an. Das bedeutet, dass die Rentenversicherung Reserven von 10 Tagesausgaben erhält. Ist das seriös?

Das Fazit dieser Rentenpolitik fällt wenig zukunftsorientiert aus, schlussfolgert Axel Börsch-Supan: „Mehr Fortschritt wird nicht gewagt, stattdessen besteht sie aus Verdrängung und rückwärtsgewandten Maßnahmen, die nachhaltige und generationengerechte Lösungen wieder abwickeln“.

Zur Erinnerung: Die CDU/FDP-Regierung Kohl mit Sozialminister Norbert Blüm brachte in ihrer Endphase mehrere demographische Faktoren in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder machte alle Maßnahmen wieder rückgängig, um sie ein paar Jahre später wieder einzuführen; sie hatte die Notwendigkeit erkannt. Und die CDU/SPD-Regierung, die Große Koalition, überfrachtete die Rentenversicherung unter den SPD-Ministern Scholz, Nahles und Heil mit leistungsfremden Ausgaben.

Mal sehen, was diese bunte Ampelkoalition in vier Jahren Legislaturperiode daraus machen wird.